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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 31.05.2010


Die BVG hat erstmals eine Vorstandsvorsitzende - Der Deutsche Juristinnenbund fordert mehr Konkretisierung für Frauen in Aufsichtsräten
AVIVA-Redaktion

Eigentlich nichts Ungewöhnliches: Eine Stelle wird ausgeschrieben, es melden sich BewerberInnen, von denen ausgewählt wird. Auch Sigrid Evelyn Nikutta bewarb sich auf eine Zeitungsanzeige...




...stellt aber einen sehr ungewöhnlichen Fall dar.

Die 41-jährige promovierte Psychologin und Wirtschaftswissenschaftlerin wurde am Freitag (28. Mai 2010) vom Aufsichtsrat der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) einstimmig zur neuen Vorstandsvorsitzenden gewählt. Erstmals in der über 80-jährigen BVG-Geschichte wird damit eine Frau das Unternehmen leiten.

Zum Hintergrund: die Stelle des BVG-Finanzvorstandes im Jahr 2008 war ohne öffentliche Ausschreibung an Henrik Falk vergeben worden. Dieses Vorgehen hatte heftige Proteste von renommierten JuristInnen ausgelöst, die darin eine Rechtswidrigkeit sahen. Der deutsche Juristinnenbund verwies auf das Landesgleichstellungsgesetz (LGG), das unter anderem vorschreibt, auch Vorstandsposten öffentlich auszuschreiben, besonders dann, wenn Frauen innerhalb des Betriebes unterrepräsentiert sind. Frauen machen in den Aufsichtsratsgremien deutscher Unternehmen einen Anteil von unter zehn Prozent aus (Stand: 2008).

"Nach menschlichem Ermessen" habe man mit Nikutta die beste Wahl für den schwierigen Job bei der BVG getroffen, sagte Aufsichtsratchef und Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum zu der aktuellen Entscheidung. Insgesamt seien 177 Bewerbungen eingegangen, darunter stammten 22 von Frauen. Die neue BVG-Chefin ist mit dem Schienenverkehr ausgenommen vertraut. Bisher war sie Managerin bei der polnischen Bahntochter DB Schenker Rail Polska. Ihre Karriere begann Nikutta ebenfalls bei der Bahn, wo sie sich von der Einstiegsposition im dortigen Trainingszentrum nach oben arbeitete. Vom bisherigen BVG-Chef Andreas Sturmowski übernimmt sie jetzt ein schwieriges Erbe: Die Schuldenmasse des Landesunternehmens beläuft sich auf 740 Millionen Euro. Aufgrund von riskanten und fehlgeschlagenen Spekulationen mit Wertpapieren und der Genehmigung des überteuerten Umzugs von Schöneberg in die Trias Towers in Mitte wurde Sturmowski vom Finanzsenator abgesetzt.

Mit rund 400.000 Euro wird Nikutta zwar weit mehr verdienen als der Regierende Bürgermeister Berlins, will bei der Arbeit aber besonnener wirtschaften als ihr Vorgänger. Der Dauerverschuldung wird sie nach eigener Aussage mit einem "Blumenstrauß von Maßnahmen" entgegenwirken. Auf die Frage einer Journalistin während der Pressekonferenz am 28. Mai 2010, wie sie als Mutter von drei Kindern den Berufsalltag mit der Kindererziehung vereinbare, antwortete Nikutta: "Ich habe nicht nur drei Kinder, sondern auch einen Mann, der zu Hause ist." Ihr Mann, ein 46-jähriger Computerfachmann, hat gerade Elternzeit und kümmert sich um die beiden Töchter im Alter von sieben Monaten und zwei Jahren und um den sechsjährigen Sohn. "Ich bin der festen Überzeugung, dass auch Männer Kinder erziehen und versorgen können und dieses Modell praktizieren wir", so Nikutta.

Die frischgebackene BVG-Vorstandsvorsitzende, die als Tochter polnischer SpätaussiedlerInnen im masurischen Seengebiet geboren wurde und in Bielefeld aufwuchs, wird am 1. Oktober 2010 ihre schwierige Aufgabe antreten. Sie blickt ihr selbstbewusst entgegen: "Meine Qualifikationen und nicht mein Geschlecht befähigen mich zu diesem Job", erklärte sie.

Empfehlungen für mehr Frauen in Aufsichtsräten konkretisieren

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) begrüßt derweil den Beschluss der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex vom 26. Mai 2010, die Empfehlungen für mehr Frauen in Aufsichtsräten zu konkretisieren. Auch in Vorständen und Führungspositionen sollen Frauen künftig angemessen berücksichtigt werden.

Im Rahmen seiner Aktion "Hauptversammlungen - Aktionärinnen fordern Gleichberechtigung" hat der djb in den letzten Monaten bereits auf 60 Hauptversammlungen explizit gefragt, wie die Unternehmen diese von der Regierungskommission im Arbeitsprogramm bereits angekündigte Selbstverpflichtung umsetzen wollen. Die Antworten reichten von "Wir werden die Empfehlung umsetzen" bis "Wenn sie kommt, werden wir der Empfehlung nicht folgen und dann entsprechend darauf hinweisen".

Der djb fordert jetzt von den Unternehmen konkrete Pläne dazu, wie der Anteil von Frauen in Aufsichtsrat und Vorstand erhöht werden kann und Informationen darüber, welchen Anteil von Frauen in Führungspositionen das Unternehmen für angemessen hält und bis wann es diesen erreichen will. Dies sollte transparent im Geschäftsbericht dargelegt und die Entsprechenserklärung müsste insofern ergänzt werden. "Die Unternehmen müssen nun beweisen, dass ihre Bekundungen, sie wollten mehr Frauen in den Führungsetagen haben, nicht nur Lippenbekenntnisse sind. Wir werden sehen, wo die Unternehmen ihre Ziele ansetzen und ob diese erreicht werden oder ob sie in ´gestrigen Denkmustern´ verharren, so der djb.

Der auf den Hauptversammlungen oft geäußerte Einwand, es stünden nicht genügend Frauen zur Wahl, ist angesichts der bereits 2007 vom djb an den damaligen Vorsitzenden der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex Dr. Cromme überreichten Liste von 400 für Aufsichtsratspositionen qualifizierter Frauen kein ernst zu nehmendes Argument.

Die Präsidentin des djb, Jutta Wagner, glaubt jedoch nicht an einen schnellen Erfolg: "Wir sind nicht bereit, noch länger zu warten. Wir fordern eine Quote von mindestens 40 % für die Beteiligung von Frauen in Führungspositionen einschließlich Vorstand und Aufsichtsrat. Dann wird der Fokus auf Frauen gelenkt werden - Norwegen zeigt, dass diese Frauen da sind".

Weitere Infos unter:

www.djb.de und www.bvg.de

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(Quellen: Tagesspiegel, Senatsverwaltung für Finanzen, TAZ, BZ, Berliner Zeitung)


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Beitrag vom 31.05.2010

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